Transdigitale Eisenbahn

New Work in Real Life

Objectives & Key Results bei Wildling

Theoretisch können Konzepte für Neues Arbeiten schnell überzeugen, in der Praxis verursachen sie häufig noch Fragezeichen. Da hilft nur eins: sich Inspiration bei denen holen, die schon mitten in der Umsetzung stecken. Bei "New Work in Real Life" schauen wir daher Pionier*innen des Neuen Arbeitens in die Kochtöpfe. Heute geht es um OKR bei Wildling.

Was sind Objectives & Key Results?

Objectives & Key Results (OKR) wurden in den 1970ern bei Intel entwickelt und sind ein System zur Zielsetzung in Unternehmen. Größeren Aufwind hat die Methode ab 1999 mit ihrem Einsatz bei Google bekommen.

Übergeordnete Unternehmensziele werden auch mit diesem Ansatz auf Team- und Einzelpersonenebene heruntergebrochen. Der entscheidende Unterschied ist dabei jedoch, dass bei OKR auf feingranularer Planungsebene nicht mit Aufgaben, sondern mit Zielvorstellungen gearbeitet wird, was den Mitarbeiter*innen größere Freiräume in der Umsetzung dieser Ziele lässt.

Objectives

Mit OKR soll die Eigenmotivation der Mitarbeiter*innen unterstützt und Micromanagement entgegengewirkt werden. Das Objective ist dabei ein übergeordnetes, qualitatives Ziel, welches richtungsweisend und emotional ansprechend sein soll. Ein Beispiel wäre hier „Wir bringen eine neue App auf den Markt, die das Onlineshopping bei lokalen Anbietern revolutioniert.“

Objectives werden meist für das Gesamtunternehmen entworfen, können aber ebenfalls auf Teamebene angewendet werden. Bei sehr großen Unternehmen kann es auch sinnvoll sein, die Ziele in unterschiedliche Zeithorizonte einzuteilen (langfristig, mittelfristig, kurzfristig).

Key Results

Jedem Objective werden 2-5 quantitative, also messbare, „Unterziele“ zugeordnet, die Key Results – Teilerfolge, die auf das große Ziel einzahlen und durch die Teams oder einzelnen Mitarbeitenden erreicht werden können. Beispielsweise „70% der Einwohner*innen unserer Stadt kennen unsere App“.

Wobei das mit der Erreichbarkeit so eine Sache ist: um noch motivierender zu wirken, werden diese Key Results oft weit außerhalb des Realistischen angesiedelt. Ein zu 60% erreichtes „Unterziel“ gilt dann schon als sehr großer Erfolg. So sollen die Mitarbeitenden dazu angeregt werden, groß zu denken.

Der OKR-Zyklus

Das OKR-System ist iterativ, d. h. die gesteckten Key Results („Unterziele“) werden 3-4 Monate lang verfolgt und ihr Erreichungsgrad im Anschluss bemessen. Danach geht es wieder von vorne los und die übergeordneten Objectives werden mit neuen Key Results versehen.

Das Ziel ist, die gesamte Organisation auf die aktuellen Ziele des Unternehmens einzuschwören und die Richtung für Aktivitäten vorzugeben. Wie diese Ziele genau erreicht werden, soll jedoch im Ermessen der Teams und der einzelnen Mitarbeiter*innen liegen.

Was macht Wildling?

Anna und Ran Yona sind ein Paar, haben drei Kinder und 2015 Wildling gegründet. Das Unternehmen stellt Minimalschuhe für Kinder und Erwachsene her, der Fokus liegt dabei auf ökologischer Verantwortung und fairer Produktion. Sie wollen Freude an Bewegung vermitteln und eine Nähe zur Natur schaffen. Das besondere an Wildling: Es gibt kein Unternehmensgebäude. Die mittlerweile 170 Mitarbeiter*innen arbeiten größtenteils von zu Hause, nur Versand und Lager kommen vor Ort zusammen.

Remote first braucht Vertrauen

Remote first nennt sich dieser Ansatz. Anna war es von Anfang an wichtig, von zu Hause aus zu arbeiten, um Familie und Gründung unter einen Hut bringen zu können. Als das Unternehmen dann wuchs und Anna und Ran vor der Frage standen, ob sie ein Büro für das Team anmieten wollten, entschieden sie sich bewusst dagegen. Ihnen war es wichtig, die freie Zeiteinteilung, die ihnen selbst das Leben erleichterte, auch ihren Mitarbeiter*innen möglich zu machen. Oberste Prämisse ist dabei das gegenseitige Vertrauen, was zählt ist das Ergebnis.

„Ich werde häufig gefragt, wie ich sicherstelle, dass mein Team tatsächlich arbeitet, wenn ich dies im Büro nebenan nicht kontrollieren kann. Das stimmt mich immer etwas nachdenklich und verwundert. Glauben Menschen wirklich, dass andere Menschen nur deshalb arbeiten, weil ich sie in einem Büro einsperre und ihnen durch die Glaswand auf die Finger schaue? Und wie lange geht so etwas gut? Wer möchte unter solchen Bedingungen überhaupt arbeiten? Viel wichtiger ist, die richtigen Voraussetzungen für Motivation zu schaffen – dann brauche ich mir über Kontrolle keine Gedanken mehr zu machen.“

Anna Yona auf getremote.de

Digitale Zusammenarbeit braucht Strukturen

Zu Beginn war die Zusammenarbeit im Unternehmen recht intuitiv, da viele Freund*innen und Familienmitglieder von Anna und Ran für Wildling arbeiteten. Als das Team größer wurde, wurde deutlich, dass Strukturen und Prozesse nötig waren, um sich zusammen auf Ziele und Prioritäten verständigen zu können. Um die Eigenmotivation im Home Office hochzuhalten, sollte bei der Zielsetzung Transparenz im Fokus stehen, die Umsetzung der Ziele dann aber von großer Flexibilität und Freiheit geprägt sein.

Wildling traf sich zu diesem Zeitpunkt doch persönlich, um Werte und Visionen auszuarbeiten, die das gemeinschaftliche Mindset zum Ausdruck brachten. Mittlerweile finden solche Vor-Ort-Treffen dreimal jährlich statt. Anschließend fehlte nur noch ein Framework, mit dessen Hilfe die Werte und Visionen in Ziele übersetzt werden sollten, sodass alle im Home Office sich auf die gemeinschaftlichen Ziele ausrichten konnten. So kam OKR bei Wildling ins Spiel.

Wie sehen OKR bei Wildling aus?

Entlang der mittelfristigen Unternehmensstrategien werden pro Quartal 5 Objectives formuliert, die einen qualitativen Mehrwert darstellen. Vier messbare „Unterziele“ (Key Results) werden mit jedem Objective verknüpft, sodass auf Team- und Individualebene jede*r weiß, was im nächsten Quartal im Fokus steht und alle an einem Strang ziehen. Wildling nutzt OKR somit nicht nur für Fokus und Priorisierung der unternehmensweiten Ziele, sondern auch um Verbindung zwischen den einzelnen Teams herzustellen.

Regelabweichungen

Im Sommer 2018 begann das Unternehmen, OKR über die gesamte Organisation hinweg einzuführen. Dabei wurde das System dem Unternehmens-Mindset angepasst: da Wachstum und Metriken die Menschen hinter Wildling nicht allein motivieren können, sind die Key Results eher qualitativ und weniger zahlengetrieben – sie sind also nicht (immer) im klassischen Sinne messbar.

„Key Results sind bei Wildling selten mit knallharten KPIs gekoppelt, es geht mehr darum: was glaube ich selbst, dass ich erreichen kann und was glaube ich hinterher, dass ich erreicht habe. Jeder macht sein eigenes Review, um herauszufinden, was gut lief und was nicht. Das schafft eine objektive Basis, auf der man sprechen kann. Wir verknüpfen jedoch nichts mit diesen Zielen, es ist kein »wenn du diese Ziele erreichst, dann bekommst du einen Bonus«. Es sind Ziele, die man selbst formulieren darf und die einen Mehrwert darstellen. Über diesen Sinn kommt die Motivation, die Ziele zu erreichen. Wir setzten auf intrinsische Motivation.“

Anna Yona im Podcast Raketenstart

Außerdem gibt es Objectives nicht nur für die Gesamtorganisation und die einzelnen Teams sondern nach Bedarf sogar für jedes einzelne Teammitglied. Der Fokus liegt bei Wildling so noch stärker auf der persönlichen Motivation und dem Zusammenwachsen des Teams, weniger auf leistungssteigernden Zahlen. Weg von Wachstum als Selbstzweck, hin zu gemeinsam Dinge bewegen und schaffen.

Unterstützende Tools und Methoden

Zusätzlich arbeitet man bei Wildling mit Rollen, die eigene Accountability-Profile aufweisen. Die individuellen Stärken der Mitarbeiter*innen sollen in Workshops sichtbar gemacht werden und ihren Ausdruck in den Rollenbeschreibungen finden. Dabei ist es ausdrücklich erwünscht und auch so angelegt, dass die Rollen nicht fix sind. Alle Mitarbeitenden haben die Möglichkeit sich beruflich weiterzuentwickeln, Stärken auszubauen oder sogar radikal die Richtung ihrer Aufgaben zu wechseln. So soll stärken- und kompetenzbasiert eingestellt, weiterentwickelt und geführt werden.

Wildlings Bilanz

Für Wildling hat die Einführung von OKR vor allem zu einem Alignment der Ziele und zu einer Synchronisation des Unternehmens-Mindsets geführt: trotz verstreuter Mitarbeiter*innen kann die Gemeinschaft fokussiert und transparent zusammen Ziele erreichen. Und das ohne Kontrolle, Zwang und im Nacken sitzende Metriken, sondern durch gemeinsames Commitment und Eigenmotivation.

„Durch die OKR-Struktur wird für alle Mitarbeitenden Transparenz geschaffen — wo will das Unternehmen hin und warum? Es wird ein Mitspracherecht eingeräumt und ein Commitment zu den gemeinsamen Zielen eingeholt. Dadurch entsteht eine ergebnisorientierte Führung und ein sehr klarer Rahmen, innerhalb dessen größtmögliche Freiheit und Flexibilität gegeben sind. Gleichzeitig schaffen Transparenz, Mitsprache und die Formulierung von qualitativen Zielen den Nährboden für Motivation.“

Anna Yona auf medium.com

Was haben wir uns abgeschaut?

  • Wir wollen ebenso wie Wildling unsere Key Results nicht streng messbar, sondern eher qualitativ halten. Wichtig ist uns, in die gleiche Richtung zu laufen, nicht spezielle Metriken zu erfüllen.

  • Um uns mehr Zeit für unsere Zielerreichung zu lassen, dauert ein OKR-Zyklus bei uns 6 Monate. Nach 1,5 Jahren wird Bilanz gezogen.

  • Wir definieren für diesen Zeitraum 1-3 Objectives für unser Unternehmen und knüpfen dann Key Results an die verschiedenen Rollen, die wir darin einnehmen. Die Rollen wurden dabei nach dem Holacracy-Ansatz definiert.

Wo erfahre ich mehr zu OKR bei Wildling?

Die Quellen für unseren Artikel sind diese tollen Beiträge und Gespräche, die wir für einen tieferen Einstieg in das Thema gerne empfehlen:

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