Transdigitale Eisenbahn

Naomi Ryland & Lisa Jaspers

Starting a Revolution

Artikel anhören

Naomi Ryland & Lisa Jaspers GbR 2019 | Die Regeln der Startup- und Unternehmenswelt scheinen in Stein gemeißelt und der Kreis, der von diesen Regeln profitiert sehr überschaubar zu sein. Doch sind diese Gründer-Gesetze wirklich unverrückbar – oder ist es nicht viel eher Zeit für eine Revolution?

Ein Spiel und seine Regeln

Die Regeln des Startup-Gründens scheinen uns allen spätestens seit der Sendung „Die Höhle der Löwen“ bestens bekannt zu sein: Disruptive Idee haben, Venture Capital einwerben, exponentiell wachen (bestenfalls bis zum Unicorn-Status), lukrativer Exit. Die beiden Berliner Startup-Gründerinnen Lisa Jaspers und Naomi Ryland wurden auf diversen Gründer*innen-Events mit diesen Regeln auch im realen Leben konfrontiert: die einzigen Fakten über ihre Unternehmen, die tatsächlich von Relevanz zu sein schienen waren Fundingsummen und Wachstumsgeschwindigkeit.

Für Naomi hatte sich bereits der gesamte Funding-Prozess falsch angefühlt, da sie nach Regeln spielen musste, an die sie selbst nicht glauben konnte: Power Play, Pitching mit enormem Selbstbewusstsein, keine Emotionen oder Zweifel erlaubt. Wir sind darauf konditioniert Maskulinität und Selbstvertrauen mit Kompetenz gleichzusetzten. Das alles war für Naomi sehr kontraintuitiv. Für Lisa stellte sich besonders die Unterteilung in eine Arbeits- und eine private Persönlichkeit als übergroße Herausforderung dar, eine Verhaltensweise, auf die sie seit Beginn ihres Arbeitslebens geprägt worden war und die sich in ihrer Rolle als Gründerin als äußerst kontraproduktiv herausstellte.

Naomi hatte zu diesem Zeitpunkt gemeinsam mit zwei Mitgründerinnen tbd* ins Leben gerufen, ein Karriereportal, das ausschließlich Jobs und Karrieremöglichkeiten mit einem gesellschaftlichen Mehrwert präsentiert. Lisa hatte mit einem Studienfreund das Fair-Trade-Unternehmen FOLKDAYS gegründet, welches Waren von Kunsthandwerkern aus 25 Ländern vertreibt und sich für den Erhalt von Kunsthandwerk in Entwicklungsländern einsetzt. Die beiden Gründerinnen sind seit über 10 Jahren befreundet und stehen für eine Arbeitswelt mit Sinn und sozialem Anspruch – was auch dazu führen mochte, dass die weit verbreiteten „Regeln der Businesswelt“ nicht wirklich mit ihrer Weltanschauung in Einklang gebracht werden konnten.

Die Revolution beginnt

Aber sind diese Regeln wirklich in Stein gemeißelt? Muss man sich für das Gründen hinter einer Fassade der Aufschneiderei und Emotionslosigkeit verstecken? Und später, nach erfolgreicher Gründung, reihen sich doch noch weitere dieser ominösen Regeln in den Kanon ein: Boss-Culture, harte Firmenkultur, die Mitarbeiter*innen zu Höchstleistungen antreiben aber nicht fördern – muss das alles wirklich sein?

Naomi Ryland und Lisa Jaspers fanden: nein, muss es nicht! Sie hatten schon einige positive Beispiele von Unternehmerinnen gefunden, die die Dinge progressiv anders angingen. Und sie waren der Meinung, dass diese Rolemodels viel bekannter werden müssten, damit nicht nur die beiden Gründerinnen von ihnen lernen konnten, sondern mehr Menschen, die sich nach einer anderen Businesswelt sehnten. Die Idee zu dem Buch Starting a Revolution war geboren.

Getragen durch die Crowd

Um weiter zu dem Thema recherchieren und die Erkenntnisse schlussendlich in ein Buch packen zu können, starteten Naomi und Lisa Anfang 2019 eine Crowdunding-Kampagne – und konnten 320 Unterstützer*innen für ihre Idee gewinnen. Sie waren also definitiv nicht allein mit ihrer Sehnsucht nach einem anderen Gründer- und Unternehmertum. Zum Zeitpunkt des Crowdfundings waren unter den Top 50 Amazon-Bestsellern zum Thema Business & Entrepreneurship lediglich drei weibliche Autorinnen zu finden. Bei ihrer Suche nach Vorbildern für ein anderes Wirtschaften wollten sich Naomi und Lisa daher auf die weibliche Perspektive fokussieren und Gründerinnen zu ihren Erfahrungen befragen. Sie suchten nach Frauen, die den Status quo in Frage stellten und eine eigene, konsequent andere Arbeitswelt aufgebaut hatten und fanden etliche von ihnen.

In ihrem Buch präsentieren sie letztlich sieben Unternehmerinnen: Dame Stephanie (Steve) Shirley, Vivienne Ming, Catherine Mahugu, Joana Breidenbach, Ida Tin, Jennifer Brandel und Anna Yona. Jede von ihnen hat radikale Experimente gewagt, sei es Home Office bereits in den 1960ern, Disruption von Exportketten, Übertragung der Führung auf das gesamte Team, Entscheidungen gegen Venture Capital oder hochbezahlte Corporate Jobs aus ethischen Gründen, das Stellen von Purpose vor Profit, Übertragung der Eigentümerschaft der Firma auf die Mitarbeiter*innen u.v.m.

Kopfsprung in die Praxis

Starting a Revolution stellt aber nicht nur die Unternehmen und Lebensläufe dieser Frauen vor. Es ist ein Hands-on Businessbuch, das unterschiedlichste Herausforderungen bei der Unternehmensgründung und -führung beleuchtet und konkrete Lösungsbeispiele für diese parat hat – ein Businessbuch für Revolutionäre, wie es die Autorinnen selbst nennen. In eigenen Kapiteln beleuchten sie die Themen Führung, Organisationsentwicklung, Arbeitskultur, Personalgewinnung und -entwicklung, Wachstum und Innovation. Die Autorinnen legen dabei schonungslos ihre eigenen Fehler aus der Vergangenheit offen, teilen ihre gelernten Lektionen und lassen ihre Revolutionärinnen zu Wort kommen, die jeweils ganz eigene Herangehensweisen an die Probleme aus diesen Feldern haben.

Im Verlauf des Buchs werden auch immer wieder kurz und knackig interessante Methoden und Denkansätze für Arbeitsrevolutionär*innen erklärt, beispielsweise die Gedanken zur Organisationsstruktur von Frederic Laloux, die Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation, das Konzept der psychologischen Sicherheit oder die Vermittlung von Unternehmenszielen durch Objectives und Key Results.

Fazit

Als Leser*in bekommt man nicht nur persönliche Einblicke, sondern gleich konkrete, bereits existierende Lösungen an die Hand. Es macht einfach Spaß, dieses Businessbuch zu lesen (ich hätte nie gedacht, dass ich so einen Satz einmal schreiben würde). Denn man hat endlich nicht mehr das Gefühl, allein zu sein mit der Verwunderung über die aktuellen Regeln der Businesswelt und dem Glauben, dass es doch auch anders gehen muss. Die vorgestellten Unternehmerinnen machen Mut und vermitteln das Gefühl, dass sehr viel möglich ist – wenn man sich nur traut, die Dinge anders und im Einklang mit den eigenen Werten anzugehen.

Diese Botschaft hat anscheinend nicht nur mir gefallen, denn ab August 2020 gibt es von Starting a Revolution auch eine deutsche Ausgabe im Ullstein Verlag. Sehr gut, dann kann sich diese Business-Revolution noch weiter verbreiten.

Du hast Fragen, Anmerkungen, Kommentare?

Wir freuen uns über Feedback zu diesem Beitrag an
hallo@transdigitale-eisenbahn.de.