Transdigitale Eisenbahn

Coworking abseits der Großstadt

Kann ein urbaner Trend auf dem Land bestehen?

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Das ursprünglich in Kalifornien aufgekommene Coworking schwappte in den 2010ern in die europäischen Metropolen. Deutschlandweit hat sich das Konzept ebenfalls in Großstädten etabliert – taugt es jedoch auch für ländliche Regionen?

Coworking Space in der alten Schlachthofvilla Coburg

Patrick Dabrowski ist Gründer im Bereich Industrie 4.0. Er entwickelt gerade ein Konzept für die Verarbeitung von Maschinendaten. Für den Start seines Unternehmens hat er sich in einen Coworking Space eingemietet: ein heller Altbau mit Holzdielen, mehreren Arbeitsräumen und einem Besprechungsraum. Die Schreibtische sind Holzplatten auf Klappböcken, die bei Veranstaltungen schnell beiseite geräumt werden können. Aufkleber zieren die Wände, es gibt eine gemütliche Sofaecke und eine geräumige Küche mit Esstisch für gemeinsame Mahlzeiten. Patrick sucht hier besonders den sozialen Anschluss: „Als Softwareentwickler konnte ich längere Zeit Homeoffice machen. […] Ganz alleine vorm PC zu sitzen war dann aber doch ein bisschen fad und der Austausch hat mir gefehlt.“

So weit klingt das alles altbekannt – allerdings lebt und arbeitet Patrick nicht etwa in Berlin, sondern in Coburg, einer Mittelstadt mit rund 41.000 Einwohnern. Und hier ist das Coworking Konzept noch Neuland.

Was genau ist eigentlich Coworking?

„Beim Coworking arbeitet man zusammen mit anderen Personen in Großraumbüros […] oder ähnlich angelegten Räumen, insgesamt Coworking Spaces genannt, entweder für eigene oder gemeinsame Belange. Man hat meist nur eine geringe Gebühr zu entrichten und keinen festen Platz, teilt sich die Infrastruktur und trifft sich in der Kaffeeküche[…].“ (Gabler Wirtschaftslexikon)

In der Hauptstadt boomt das Coworking

Die Großstadt scheint im punkto Coworking meilenweit voraus, vor allem in Berlin ist mit über 150 Anbietern so gut wie jede Nische besetzt: Coworking Spaces für spezielle Berufsgruppen wie Startups oder Kreative, Spaces mit sehr hohem Service (integrierte Cafés, 24h Verfügbarkeit, technisches Sonderequipment wie Aufnahmekabinen für Podcasts, Veranstaltungsräume für große Events, etc.) und auch Coworking Spaces mit Kinderbetreuung. Eine gute Übersicht bietet dieser Artikel von Gründerküche.de.

Innenansicht des Coburger Coworking Spaces

Ist Coworking nur etwas für die Großstadt?

Dass im urbanen Biotop Berlin das Coworking solche Blüten treibt, verwundert nicht sonderlich: ca. 240.000 Berliner*innen sind selbstständig und brauchen Räume für Zusammenarbeit und gemeinschaftliche Projekte. Auch die hohe Startup-Dichte befördert den Trend zum Coworking. Ist Coworking somit ein reines Großstadtphänomen?

Nein, meint Tobias Kremkau, Coworking Manager des St. Oberholz in Berlin und Gründungsmitglied der German Coworking Federation im Interview mit Neue Denkerei: „Coworking Spaces in den Klein- und Mittelzentren sind wichtig […]. Sie stellen an dem Ort selbst eine Ergänzung eines weiteren Services dar, den wir aus Großstädten kennen. Wenn ein Coworking Space in Berlin funktioniert, dann eben auch in Kassel. Nur mit dem Unterschied, dass in Kassel vielleicht ein halbes Dutzend Coworking Spaces die Nachfrage stillen würden, während es in Berlin eher ein paar hundert Coworking Spaces werden.“

Denn auch in kleineren Städten gibt es Selbstständige, Kreative und Gründer*innen mit dem Bedarf nach Austausch und Kollaboration. Auch Angestellte, die ortsungebunden Arbeiten können, zählen zur Zielgruppe: durch mehr Coworking-Angebote vor Ort könnten sie Pendelzeit reduzieren. Die German Coworking Federation sieht dementsprechend Coworking nicht als urbanen Trend, sondern als Arbeitskultur der Zukunft – und dieser sollten sich ländlich geprägte Gebiete nicht verschließen. Wie jedoch lässt sich diese Kultur dort verwurzeln?

Urbane Arbeitskultur im ländlichen Raum: Coworking in Coburg

Dieser Frage stellt sich Eric Rösner, der Geschäftsführer von Zukunft.Coburg.Digital. Er betreibt seit 2018 den Coburger Coworking Space, in dem auch Patrick sein Business auf den Weg bringt. Eine sichere Finanzierung ist bei kleineren Coworking Spaces das A und O, da Schwankungen in der Auslastung bei wenigen Plätzen zum Problem werden können. Zukunft.Coburg.Digital hatte hier Starthilfe: das Projekt wird durch den Freistaat Bayern gefördert und entstand in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung der Region. Neben einem Platz zum Arbeiten umfasst das Konzept ein großes regionales Netzwerk sowie Networking-Events und Workshops zu digitalen Themen – und um es in Coburg zu etablieren ist viel Grundlangenarbeit notwendig.

Interview mit Eric Rösner, dem Geschäftsführer von Zukunft.Coburg.Digital

Coworking ist in der Gegend noch erklärungsbedürftig, dementsprechend rührt Zukunft.Coburg.Digital kräftig die Werbetrommel mittels Guerilla-Marketing, Netzwerk-Veranstaltungen, Hochschulbesuchen und über Social Media. Besonders die Hochschule Coburg ist ein günstiger Standortfaktor für den Coworking Space, die Studentinnen und Studenten sind dem Konzept gegenüber sehr aufgeschlossen und nutzen ihn gerne für die Phase der Abschlussarbeit oder für ihre Startup-Ideen. Die Community befindet sich gerade noch im Aufbau, bei den aktuell 16 Plätzen soll es nicht bleiben. Zukünftig soll das Angebot noch wachsen und zu einem digitalen Gründerzentrum mit zwei Standorten ausgebaut werden, mit dem Schwerpunkt Produktions- und Prozessinnovation. Es bleibt also noch viel zu tun für die Mitarbeiter von Zukunft.Coburg.Digital.

Interview mit Coburger Coworkern

Für Eric haben sich die bisherigen Anstrengungen ausgezahlt: „Ich finde es sehr positiv, dass etwas, was man mit Urbanität verbindet, in einer kleinen Stadt wie Coburg funktioniert und läuft. Im Endeffekt bietet man einen Standortfaktor für junge und kreative Menschen. Wenn man das nicht macht, gibt es diesen Standortfaktor nicht und die suchen sich das Gleiche woanders.“

tl;dr

  • Gemeinschaftliches Arbeiten in Coworking Spaces ist besonders in Großstädten bereits fest etabliert.

  • Coworking ist jedoch kein urbaner Trend, sondern eine Arbeitskultur der Zukunft.

  • Coworking Spaces in Klein- und Mittelstädten sind Standortfaktoren, die Mehrwert bieten und Abwanderung verhindern können.

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